Es war eine so schöne Idee
Den letzten Sonntag des April hatten Gianni und ich für meinen Vortrag „Orpheus, Archetyp des Sängers“ ausgeguckt. Ich habe mich riesig über diesen Vorschlag von Wolfgang und Gianni gefreut. So gern wollte ich den Freundinnen und Freunden des TheaterLabor etwas davon vermitteln, wie Orpheus mit dem Zauber seiner Stimme Frieden unter streitenden Ruderern stiftet, wie er den ins Irrewerden lockenden Sirenen die Menschen abspenstig macht, die kurz davor sind, dem Sirren zu erliegen und wie er die unersättlich nach Rache dürstenden Erinnyen zu Tränen des Mitgefühls bewegt.
Wo ist Orpheus jetzt?
- Ist er in den Flitterwochen mit Eurydike? – Zu kurz!
- In seinem Schmerz um Eurydikes Tod? – Zu traurig!
- In seinem Schmerz um sein Scheitern in der Unterwelt? – Zu endgültig!
Ich lasse Orpheus die Unterwelt noch weiter erkunden. Ich habe ja Proviant für ihn, jede Menge Übungen zu Bewegung, Stimme, Gebärde und – als neuesten Hit, Face Gym, aus Wolfgangs Vortrag im Rahmen von „Staunen, Stopp und Stille“. Dabei erinnere ich mich:
„Lebensmittel“ habe ich Wolfgang solche Übungen oft nennen hören.
Wohin führen mich meine „Lebensmittel“?
Es macht mir (und meinen gesunden Nachbarn auch) einen Heidenspaß, meiner Stimme das Bellen, Kläffen, Keifen des Cerberus zu gestatten. Und sein resigniertes Jaulen, als er vor Orpheus in die Kniee geht. Da hockt er dann und zeichnet mit seinem Unterkiefer eine horizontale Lemniskate.
Kann meine Stimme auch sirren, flirren, säuseln wie eine Sirene? – Da ist noch viel Luft nach oben.
Wenn ich schließlich abgründige Wut, über Jahre gestauten Groll als ganzkörperlichen, mimischen und stimmlichen Ausdruck zulasse und so lange aushalte, bis sich diese Emotionen von selbst in Schmerz, Sehnsucht und Mitgefühl mit mir und den Wesen dieser Welt verwandeln, dann entsteht ein Gefühl von Befreiung, und mit den Gebärden des Staunens und des Dankens kehre ich in meinen Alltag zurück.
An welchem Ort und in welcher Situation ich Orpheus antreffen werde, wenn ich eines hoffentlich nicht ganz fernen Tages im TheaterLabor von ihm erzähle – darauf bin ich neugierig…
Wie „systemrelevant“ sind die „Kulturschaffenden“?
Im Stadt-Anzeiger beschreibt die Kölner Schauspielerin Renan Demirkan das Erleben von Spielenden und Zuschauenden in einer Art, die ich sonst nicht im Feuilleton gefunden habe:
„Wir brauchen das Weiß im Auge des Gegenübers, um Emotionen und Inhalte nachhaltig speichern zu können….In der analogen Kommunikation werden wir zu gemeinsamen Zeitzeugen und zu Verbündeten in einer gemeinsamen ästhetischen und physischen Resonanz-Sphäre.“
Liebe Sigrid,liebe Doris, lieber Marcel, lieber Wolfgang, Ihr habt Euch auf das Abenteuer eingelassen, auf das „Weiß im Auge des Gegenübers“ zu verzichten, nicht aber auf den weiten Raum der Imagination, und Ihr habt aus dem Vorrat Eurer „Lebensmittel“ geschöpft, jeder für sich, an seinem Ort, zu seiner Zeit. Und dann hast Du, Gianni, mit Deiner unermüdlichen Experimentierfreude die Teile, die manchmal auch wie Splitter wirken, zu einem facettenreichen, spannungsvollen, dynamischen Kaleidoskop zusammengefügt. Da habt Ihr etwas geschaffen, das meinen Ohren und meinen Augen etwas zu staunen gibt!
Das erfüllt mich mit Freude darüber, dass Eure Beziehung zu „Tor und Tod“ lebendig geblieben ist. Und es nährt meine Vorfreude auf den Moment, in dem ich im Bühnenraum des TheaterLabor endlich wieder die „ästhetische und physische Resonanz-Sphäre“ mit Euch allen zusammen erleben darf, in dem ich die Einzigartigkeit jedes gegenwärtigen Augenblicks wieder besonders wahrnehmen darf.
Worauf ich auch neugierig bin
Deine Agathe, liebe Gabriela, hat eine Zeit mit Berg- und Talfahrten durchgemacht; Deiner Erzählung lese ich bereits ab, dass sie dabei gewachsen und gereift ist. Wenn sie nun die nächste Hürde nimmt – ich sage toi toi toi!
Liebe Barbara,
ja, ich bin echt gespannt, wenn ich bei Orpheus dabei sein kann. Ich hoffe, sehr, dass wir alle diese schreckliche Zeit bald hinter uns haben und wir uns alle wiedersehen.
Und wie auch Orpheus, hat auch Agathe unter der Situation leiden müssen. Und alle anderen Teilnehmer*Innen, die mit soviel Freude ihre Arbeit vorbereitet haben.
Dein Orpheus macht mich neugierig. Ich liebe die Geschichte um ihn, um seine Irrfahrten. Bis dahin werden auch wir noch Irrfahrten gehen müssen.
Herzlichst
Gabriela
Liebe Barbara,
dein Beitrag macht auch mich neugierig auf das, was du uns von Orpheus erzählen möchtest. Wie wunderbar seine Geschichte doch für die Kraft und Magie der Stimme steht. Immer wieder gern genieße ich den Zauber beim Zuhören von Lesenden, Spielenden, von jedem Gegenüber, dem/der es gelingt alles Empfinden in die Stimme zu legen. Ach, wie gerne würde ich auch das Erleben, das Erkennen und die Gefühle von „Claudia“ in „Tor und Tod“ in meine Stimme fließen lassen können – ein Lernprozess, hier im Theaterlabor, der mich gerade sehr herausfordert.
Ich freue mich auf unsere nächste Begegnung.
Herzliche Grüße
Sigrid