Wie ich den Sinn des Theaterspielens neu entdeckte!

Mir ist es selten so schwer gefallen über etwas zu schreiben. Die erste Probe hat noch viele Eindrücke hinterlassen, die sich schwerlich einordnen lassen. Im Grunde bin ich verwirrt und erfüllt zugleich.
Doch was war bei dieser Probe passiert? Ein neues Theaterstück wurde vom Ensemble ausgewählt – endlich. Ein Prozess des Auswählens– Besprechens – Diskutierens – sich sicher seins – sich nicht mehr sicher seins – Verwerfens – wieder neu Suchens und schließlich endlich Findens nimmt ein Ende! Ich war erleichtert.

Auf der Bühne.

Danach ging es direkt auf die Probebühne – mit Text, Charme und keiner Melone. Was jetzt kam war außergewöhnlich. Um hier wirklich die Emotionen, die ich als Zuschauer erlebt habe zu erfassen, muss man es selbst erlebt haben, jedoch will ich es versuchen:

Ein Grundsatz der Psychoanalyse nach Freud ist es für den Analysanden, der auf der Couch liegt, seine freien Assoziationen, den spontanen Einfall auszusprechen. Neben der Tatsache, dass Freud es nicht ertragen konnte den ganzen Tag von seinen Klienten angeschaut zu werden, sollte diese Konstellation, der Analytiker sitzt währenddessen hinter der Couch, auch dazu führen dem Betroffenen einen möglichst klaren „Gedankenstrom“ zu ermöglichen. Das Unbewusste sollte sprechen. Aus meiner Sicht geschah genau dies nun auf der Bühne.

Text, irgendwie präsent, aber nicht so wichtig.

In diesem sonst so leeren, schwarzen Raum wurde der Text lebendig. Verbaler und nonverbaler Ausdruck der Schauspieler standen dabei im Vordergrund. Es wurde gelaufen, getrippelt, sich hingesetzt, gehüpft, gegrunzt, geschrien, geflüstert – der Text, zwar immer noch irgendwie präsent, aber längst nicht mehr so wichtig, wurde improvisiert, denn es stand etwas ganz anderes im Mittelpunkt: Löse Dich von allen mentalen Fesseln, die dich als Mensch in der Gesellschaft ausmachen. Die Betonung liegt hierbei „in der Gesellschaft“ und nicht etwa „in der Natur“, so wie es zwangsläufig ja auch ein natürliches Verhalten des Menschen wäre, weil wir ja alle aus der Natur stammen. Lege also alle Konventionen, alles „dich verbiegende“ ab und sei ein Mensch in reinster Form.

Befreie dich!

Werfe deine Erziehung über Bord! Sei frei, sei deine Emotion, sei viele Emotionen, suche nach dem wahren Selbst während Dich die Zuschauer beobachten. Was bedeutet, dass Du dir bewusst bist, nicht alleine zu sein, sondern andere beobachten dich und du ziehst dich innerlich aus und das vor diesen Menschen. Wolfgang griff durch kleinere Regieanweisungen und kurze Rückmeldungen nur leicht in das Geschehen ein.
Eine ganze Palette an Emotionen schwappte von der Bühne auf mich zu. Ich saß an einem kleinen Tisch im dunklen Zuschauerraum und machte mir Notizen. Ich kam kaum mit dem Schreiben hinterher. Eine Fülle von Assoziation zuckten durch mich hindurch. Was passierte da vor mir? Würde ich diesem Menschen, der dort auf der Bühne alles von sich preis gibt auf der Straße treffen, würde ich wahrscheinlich denken, dass er ärztliche Hilfe benötigt.

Erforschung des Selbst

Hier, in diesem Kontext jedoch, verstand ich ansatzweise den Kern des „Slow Acting“, der Theaterarbeit von Wolfgang und Gianni, den Sinn des Theaterlabors. Es ging nicht mehr, nicht minder um die Erforschung des Selbst, das Freimachen des eigenen Geistes mithilfe des Theaterspielens. Ein einzigartige Erfahrung, für die ich mich hier auch nochmal herzlich bei dem Ensemble bedanken möchte. Ein Mitglied ist so an seine emotionalen Grenzen gegangen, dass eigentlich nur noch gefehlt hätte, dass er auf der Bühne blank zieht. Dann wäre alles da gewesen, alles von ihm – vor uns.
Im Sinne Freuds eine außergewöhnliche Sitzung! Freies assoziieren nicht mit Worten, liegend auf der Couch, sondern auf der Bühne. Wolfgang, verzeih mir bitte, wenn meine Analogie vielleicht zu einfach erscheint. Du darfst mich natürlich gerne korrigieren.
Nach dieser „Sitzung“ musste ich erst wieder klarkommen. Gianni und Wolfgang haben reflektiert über das vorher Gesehene. Ich hielt mich im Hintergrund, war total aufgewühlt – innerlich – und traute mich nicht etwas zu sagen. Was auch? Ich wusste eigentlich nichts mehr in diesem Moment nach der Probe, fühlte mich total leer und gleichzeitig auch voller Emotionen – eine seltsame Ambivalenz.
Bei der Abschiedsrunde, die als eine Art Ritual am Ende eines jeden Treffens mit dem Ensemble stattfindet, fühlte ich mich klarer und etwas müde. Ich hatte das Gefühl, die Schauspieler jetzt besser zu kennen – Ihre Ängste, Verwundbarkeiten und vielleicht auch ihre Träume…?!