Dem Dichter beim Denken und Empfinden zuschauen
Was für ein Erlebnis: Wolfgang und Sybille haben mit Worten und Musik Hölderlin lebendig werden lassen. Ich hatte den Eindruck, als könne ich dem Dichter beim Denken und Empfinden zuschauen und zuhören.
Ja wirklich, Wolfgang verkörperte für mich mit Körper, Mimik, Gestus und natürlich den gelesenen Worten eindrucksvoll die Gestalt Hölderlins. Diese einsame, hagere, graubärtige, fragile und doch kraftvolle Figur drückte mit jedem Blick, mit jeder Faser ihres Körpers sowohl Erschütterung und Entsetzen als auch Hoffnung und Trost aus. So konnte ich mir Hölderlin in seiner Isolation im Turmzimmer vorstellen, allein mit seinen Phantasien, Erinnerungen und Gedanken, die so bilderreich in seine Dichtung flossen.
Es wirkte so, als seien Wolfgang die Worte Hölderlins eben in diesem Moment eingefallen. Da war nichts auswendig Gelerntes, sondern jedes Wort, jede Zeile erhielt beim Lesen durch Pausen, Variation von Lautstärke und Betonung ihren Sinn. Und jeder Blick ließ die Sehnsucht, Zerrissenheit und die Tiefe der Gedanken, Erinnerungen und Bilder erahnen, die diese Dichtung hervorgebracht hat.
Wunderbar auch die Pausen voller Nachdenklichkeit mit unterschiedlichen Gebärden, die immer authentisch wirkten und die Empfindungen ausdrückten oder untermalten.
Klaviermusik verschmolz untrennbar mit der Dichtung
Hölderlins Worte zogen für mich in ihrer Metaphorik und Tiefe fast zu rasch vorüber, um auch nur ein wenig davon zu verstehen. Aber da war ja noch die Musik! Durch das wunderbare Klavierspiel von Sybille hat mich etwas erreicht, was ich nur schwer in Worte fassen kann.
Denn Sybilles frei improvisierte Klaviermusik verschmolz untrennbar mit der Dichtung.
So zart, gefühlvoll und beredt ließ sie die gehörten Worte nachklingen oder die kommenden Worte erahnen. Ich konnte die Augen schließen, mich sammeln und auch erholen von dem, was Kopf und Geist aufgenommen und berührt hatten. Es war ein Genuss, was Sybille in ihrem Spiel hörbar und fühlbar werden ließ. Ihr Klavierspiel betonte, untermalte, vertiefte und ergänzte Hölderlins Worte und ermöglichte mir einen ganz anderen Zugang – oft war es etwas Tröstliches.
Passend zu der Zeile, der mir im Gedächtnis geblieben ist:
“Wo denn Gefahr ist, wächst das Rettende auch.”
Es gelang Wolfgang und Sybille auch eine fast mühelose Abstimmung zwischen Wort und Klavierspiel. Vielleicht nur ein kurzer Blick zur Verständigung hier und da – es passte jedenfalls immer. Eine wunderbare Synthese von Wort und Klang, von Wolfgangs und Sybilles Kunst uns Hölderlins Kunst nahe zu bringen.
Die “Lesung” endete mit begeistertem und verdientem Applaus.
Hinweis
Der nächste Termin ist am 14. November: Hölderlin findest du mit diesem Link
Ach Sigrid, Du hast wirklich wahrgenommen und aufgenommen und worten können, was mich so bewegte beim Lesen der Worte von Hölderlin. Und tatsächlich befand ich mich in Momenten im Turmzimmer und schaute auf den Neckar. Diese Gestalt Hölderlin wurde spürbar für mich. Das hat mich dankbar glücklich gemacht. Hab Dank für Deine Worte. Und in der wunderbaren Begleitung durch Sybille wurde unser Anliegen tatsächlich zu einem Werk. Was für eine wunderbare Erfahrung durch die Wahrheit des Augenblicks. Wolfgang.