Dieser Sonntag ist anders
Es ist ein Sonntag, an dem – wie schon an den Tagen vor
her – Abstandhalten ein oberstes Gebot ist. Denn das Coronavirus erfordert unsere Rücksichtnahme und stellt nicht nur meinen Alltag auf den Kopf, sondern verlangt von mir Verzicht, Umstellung und auch viel seelische Anpassungsleistung. An diesem Sonntag gehe ich nicht im Freundeskreis walken, sondern allein.
Ich sehe meine Kinder und Enkelkinder nur über fröhliche Handyvideos (immerhin), ich plane Videosetzungen mit meinen Klienten, lese die länger liegen gelassenen Bücher, … alles machbar und auch wunderbar entschleunigt, aber auch das: ich kann mich nicht auf morgen freuen, denn natürlich muss das Schauspielstudium ausfallen. Der Montagstermin, auf den ich mich immer schon sonntags gefreut habe.
„Tod und Tor“ liegt jetzt auf Eis – Abschied
Denn am vergangenen Montag haben wir schweren Herzens die Unterrichts- und Theaterpause beschließen müssen – unser Projekt, Szenen aus Hugo von Hofmanntals „Tod und Tor“ demnächst auf die Bühne zu bringen, liegt jetzt auf Eis. „Tod und Tor“! Wie erschreckend passend im Moment!
Immer wieder zieht mir die vergangene Probenarbeit durch den Sinn. Sie hat mich sehr gefordert (und damit meine ich nicht das Textlernen – es hat mir Spaß gemacht diese wunderschönen Zeilen zu verinnerlichen!). Auch die Beschäftigung mit dem Thema Tod hat mich nicht wirklich bedrückt. Die Herausforderung war das Abschied nehmen. Nicht nur von der einen oder anderen Bühnenfigur. Schon wieder der Bezug zur aktuellen Situation, die das Verabschieden von vielem lieb gewonnen bedeutet.
Nun also erst einmal auch Verabschieden von geplanten Aufführungen, vom Unterricht, von Begegnungen mit meinen Mitspieler*innen, mit Wolfgang und Gianni, Marc, Antje im TheaterLabor.
Von einer kontaktscheuen Schriftstellerin zur koketten Schauspielerin
Um mich aber wieder auf meine Weise dem Stück und meiner Rolle in „Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln“ anzunähern, möchte ich etwas von meiner Figur im Stück erzählen. Sie heißt Claudia und verkörpert die Törin. Wie immer im TheaterLabor experimentieren wir mit verschiedenen Situationen, Biografien, Kostümen und Handlungsweisen der Figur. Stephans Claudio ist ein bemitleidenswerter Arzt, der in seiner verkommenen Praxis dem Tod in Gestalt eines Sanitäters begegnet. Wunderbar von Marcel verkörpert.
Meine Claudia wandelte sich von einer kontaktscheuen Schriftstellerin, die allein in ihrem großen Zimmer mit langen Bücherwänden über ihr Leben sinniert, zu einer koketten Schauspielerin in rosafarbenen Strumpfhosen mit schwarzem Tutu und transparentem Oberteil. Sie sitzt in der Pause in ihrer Garderobe, macht Gelenktanz, Stimmübungen usw. Bis der Tod in Form eines Stalkers (diesmal Marcel wieder ganz großartig mit ganz unheimlichem Ausdruck) auf der Bühne erscheint. Viel Freude hat es mir gemacht, dass diese Figur sinnlich, verspielt und leichtfüßig sein durfte. Doch dann wurde meine Figur unruhiger, verkrampfter, bzw. ich verkrampfte mich in dem Wunsch alle Stilmittel richtig einzusetzen.
Claudia sagt im Text:
„Ich hab´ mich so an Künstliches verloren, dass ich die Sonne sah aus toten Augen …..“
Und ich hab´ mich wohl so ans Wollen und Bemühen verloren, dass Wolfgang die Notbremse zog und ich mich von dieser Figur verabschieden musste. Wolfgang fand für mich eine neue Figur, deren Biografie und Handeln wir gemeinsam überlegten. Claudia ist jetzt älter, ruhiger, immer noch Schauspielerin. Sie besucht ihr altes Theater, ihre frühere Garderobe. Noch einmal schreitet sie alles ab, um Abschied zu nehmen. Liebevoll streicht sie über die Bühnenkostüme, die noch auf dem Garderobenständer hängen. In diesem Moment der letzten Probe überflutete mich das Gefühl des Abschiednehmens – nicht nur als Figur sondern auch als Sigrid und das bewegte mich sehr und machte mich traurig.
Aufmunterungen und Vorschläge
Noch lange nach der Probe fragte ich mich, wovon ich Abschied nehmen muss? Oder war das die Resonanz, die das Stück in mir auslöst? Selbstzweifel, mit denen ich immer mal wieder kämpfte, meldeten sich zurück mit der Frage, ob ich es nicht sein lassen sollte mit der Schauspielerei. (Ein klares „Nein“ , das kommt gar nicht infrage !). Vielleicht eher von meinem Ehrgeiz oder meinem Wunsch, dass mir etwas Neues gelingen möge, das ich noch nicht einmal richtig kenne.
Heute spüre ich, dass es auch eine Ahnung war von dem, was auf uns zukommen würde. Denn am nächsten Montag beschlossen wir eine Probenpause aufgrund des aktuellen Kontakt- und Probenverbots. Die Pause wird dauern – wie sie also füllen? Ich bemühe mich, trotz der äußeren Distanz zum TheaterLabor ein wenig Nähe herzustellen. Auch schreibe ich in die Gruppe, freue mich über jede Nachricht und jeden Blogbeitrag und schreibe jetzt diesen Blog, auch um mich innerlich wieder an unser Stück anzunähern.
Die ganze vergangene Woche hatte ich unseren Text, unsere Übungsblätter nicht anfassen können. Jetzt will ich die Zweifel überwinden und wieder beginnen. Hilfreich dazu sind die Aufmunterungen und Vorschläge, die wir von Wolfgang bekommen. Vielleicht lassen sich ja auch neue Formen des Übens und Austauschens über die digitalen Möglichkeiten finden. Das wäre schön. Hierüber würde ich mich gerne mit euch austauschen.
Das TheaterLabor TraumGesicht ist ein Ort der Nähe, die fehlt mir. Ich suche nach Möglichkeiten, trotz der geforderten Distanz doch eine Form der Nähe herzustellen. Lasst uns gemeinsam alle Möglichkeiten dazu nutzen. Auch eine rege Diskussion darüber im Blog fände ich eine einfach zu realisierende Möglichkeit.
Zum Schluss noch eine Idee für die Zukunft
Vielleicht lässt sich das Thema der sozialen Distanz später einmal auf die Bühne bringen und verarbeiten? Ich suche nach Möglichkeiten mit der jetzt nötigen Distanz doch eine Form von Nähe herstellen – lasst uns gemeinsam alle Möglichkeiten dazu nutzen und vielleicht auch neue Wege finden.
Hallo ihr lieben Traumlaboranten, mich hat der Text sehr berührt, da auch ich mich sehr mit „Tor und Tod“ beschäftigt habe. Ich habe mich als Tor immer wehement gegen den Tod gewehrt, und jetzt mache ich es mit Corona. Ich weiß, es gelingt mir. Bleibt gesund.
Eure Helga H. aus O. Mit Cora
Ach ja – Sigrid ich empfinde ähnlich.
Wir haben Übungen. Gott sei Dank. Und wenn wir üben sind wir zumindest inwendig nicht mehr allein. Das Abschiednehmen ist auch mein Thema, schon seit längerer Zeit. Zum Beispiel zog ich damals als die das Lebensthema bestimmende Tarotkarte den Tod. Zu dieser Zeit erlebte ich ihn fast schon physisch in mir. Und in den Dingen die mich umgaben und noch umgeben kommt mir seine Qualität entgegen, fordert meinen Dialog. Das war wohl mit ein Grund warum ich zum Schauspiel-Studium DER TOR UND DER TOD vorgeschlagen habe. Ich habe mich als diesen Tor erlebt.
… das das schon Leben ist / war … oje.
Wer wird durchhalten und bei unsrem Thema bleiben und hat noch genügend Spannung und Kapazität um den Kontakt zu uns und zu seiner / ihrer Bühnenfigur zu halten? Corona ist mächtig. Wieder bedarf es der Übung um sich nicht vom Virus bestimmen zu lassen. Ein Geschenk ist – weil verlässlich:
Mag es um uns herum noch so chaotisch zugehen, gefährlich, erleben wir uns ausgesetzt und isoliert so kann jedwede Übung aus Slow Acting wenn wir sie tief genug ansetzen in der Innenwelt wieder die Ordnung herstellen und das Erleben aufgehoben und beschützt zu sein.
Deine letzte Sprechgestaltung Sigrid daraus klingt deutlich wie du, dank vieler Übungen und dank der Unruhe deines Herzens und Geistes, dich durch eine Menge Dunkles hindurch geübt und gestaltet hast um der Sprache von Claudia, ihren Worten und Sätzen Flügel zu geben. Das hat sie verdient. Und du auch.
Ich habe Achtung vor deiner Bereitschaft und Fähigkeit immer wieder mit Anfangsherz das Labor zu betreten um den Prozess der inneren Goldgewinnung wegen. So möchte ich es formulieren. Immerhin sind mir die Alchemisten nahe. Der so schwierige und subtile Prozess innerer Goldgewinnung war wohl meine (damals unbewusste) Motivation in die darstellende Kunst zu gehen. Wohin denn sonst?
Ich freue mich darauf das Begonnene mit dir fortzusetzen. W.
Herzlichen Dank für deinen Kommentar, Wolfgang. Ich mag diesen offenen Austausch sehr. Gerne möchte ich auch das Begonnene fortsetzen. Und dann etwas Neues, vielleicht auch einmal Heiteres oder absurd Heiteres beginnen.
Liebe Sigrid,
ja ich sehe dich vor mir. Wie du in die Rolle der Schauspielerin hineinschlüpfst. Und deine Verzweiflung, dass die junge Schauspielerin dein Spiel tötet. Und die ältere Schauspielerin, ja das ist es. Das passt zu dir. Du hast sie gefunden, die Figur.
Es ist traurig, dass jetzt alles zum Stillstand kommt. Auch ich vermisse die Arbeit im TheaterLabor, mit Wolfgang, mit Gianni. Aber es kommen auch wieder gute Zeiten, wo wir uns alle wiedersehen. Keiner weiß, wie lange es dauern wird. Ob Wochen, Monate oder sogar ein Jahr. Wir können nur hoffen.
Ich wünsche dir von Herzen, dass du die ruhige Zeit gesund überstehst. Dann wird die Freude auf eine Wiederaufnahme von „Der Tor und der Tod“ um so schöner sein.
Herzlichst
Gabriela
Liebe Sigrid,
wie spürbar Du Deine Verbindung zum TheaterLabor und zu „Tor und Tod“ ausdrückst! Danke.
Das Foto mit den rosa Strümpfen lässt mich vermuten, dass Du die Figur der jüngeren Schauspielerin eine Zeitlang durchaus geniessen konntest. Das Ringen um Intentionslosigkeit kenne ich sehr gut, sowohl aus meinen Spielen als aus meinem Leben.
Ich halte übrigens „Tor und Tod“ für das beste Stück des Hugo von Hofmannsthal und wünsche Dir und den anderen SpielerInnen von Herzen, dass Ihr Euch die Nähe aus der Disanz untereinander und zum Stück bewahren könnt.
Mit einem vertrauensvollen Gruß von Barbara.