Nach einem genüsslichen „Arbeitsfrühstück“ und anschließenden Stimmübungen geht es los: Heute wird geschminkt! Unter Giannis Anleitung lernen wir den Umgang mit der weißen Körperfarbe und schminken uns gegenseitig Unterarme, Hände und Hals. Gianni und Belgin übernehmen dann das Schminken der Gesichter. Wie immer entstehen durch Giannis kunstvolle Farbwahl und Zeichnung ausdrucksstarke Traumgesichter.
Dieser Prozess hat über 2 Stunden gedauert, doch die Zeit verging wie im Flug. Das Ergebnis war für uns alle sehr beeindruckend. Die weiße Gesichtsfarbe bewirkt ein ausdrucksstarkes, verfremdetes und auch irgendwie altersloses Gesicht.

Diesmal war auch Marc mit der Kamera und Tonaufzeichnungsgerät dabei. Er filmte während des ganzen Tages unseren Schminkprozess und die später auf die Bühne gebrachten Szenen. Zwischendurch führte er Interviews, zunächst mit Wolfgang und dann nach und nach mit Gianni und allen Ensemblemitgliedern. Hierbei ging es um unsere Haltung und Meinung zu dem Stück „Leonce und Lena“ und die Ensemblearbeit, unseren Weg ins Theaterlabor Traumgesicht, unsere Erfahrungen bisher, usw. Marcs Interviewstil war ausgesprochen locker und entspannt. Ich fühlte mich dabei sehr wohl und völlig entspannt, wie in einem spontan entstandenen Gespräch mit einem sehr netten und interessierten Gegenüber.

Die Kostüme wurden für die Figuren Rosetta, Valerio und Lena och einmal neu gewählt, da die Idee mit den halben Gewändern sehr schwer umsetzbar war und zu umständlich beim Umkleiden gewesen wäre. So ist jetzt Lena mit Brautschleier, glitzerndem Brautschmuck, Kranz und üppigem Brautkleidkragen ausgestattet. Valerio wirkt sehr fesch in schwarzen Hosen mit breitem schwarzen Gürtel und glitzerndem grünen Hut und Rosetta sehr verführerisch mit rotem BH und schwingendem roten Rock. Die Gouvernante bleibt in ihrer schwarzen Kleidung und wechselt nur die Kopfbedeckung für die jeweilige Szene.

Dann proben wir die Szenen

Zu Beginn mit König Peter und Gouvernante. Zum Einstieg werde ich von Wolfgang gefragt, wer die Gouvernante Magda im Königreich „Popo“ ist, wie alt sie ist, welche Funktion sie hat und welche Geschichte. Diesen Einstieg in die Gestaltung der Figur erlebe ich als sehr hilfreich. So entsteht ein inneres Bild der Figur. Das ist mehr als die Momentaufnahme, die der Text schildert.

Magda ist also fast 70 Jahre alt, hat ein Hüftleiden und sie ist fleißig bemüht um König Peter und die Ordnung im Königreich. Sie wird eher geringschätzig behandelt, ist gebeugt von all dem, hat aber nicht aufgegeben und ist sich ihrer Bedeutung bewusst. Magda läuft in der Szene im offenen Viereck mit dem durch das Hüftleiden geprägten Gang und Kiefer-Tic um König Peter herum. Sie gibt diesen Gang auch nicht auf wenn sie antwortet. Als Gebärden zeigt sie die drei vereinbarten: ruckartiges Bewegen der Hände, Hände aneinander legen mit innig bittendem Gestus und Hände über dem Kopf zusammen schlagen. König Peter nutzt diese Gebärden ebenfalls, er zeigt sein Entsetzen deutlich als er glaubt, er wäre nackt und sein „kleiner König“ hänge aus dem Hosenstall heraus. Er kämpft um Fassung und unterstellt zum Schluss der Figur Magda seine eigenen Vergesslichkeit. Er verlässt als Erster die Bühne („die Sitzung ist beendet“). Abschließend schlägt Magda die Hände über dem Kopf zusammen und verkündet noch einmal laut und deutlich: „ja, die Sitzung ist beendet“!

Wolfgang äußert sich danach zufrieden über die Gestaltung der Szene: „Figuren sind entstanden“. Wie schön, das hat mich gefreut.

Weiter geht es dann mit der Szene zwischen Rosetta und Leonce. Besonders im Gedächtnis ist mir geblieben, welche Wirkung es hatte, dass Belgin als Rosetta ihr Lied als lithurgischen Gesang anstimmt. Auch Leonce fällt in einen Singsang, als er davon spricht, er habe seine Liebe zu ihr im Kopf beerdigt. Er hält sich die Augen zu, als Rosetta ihn bittet: „schau mich an“! Rosetta geht mit schwingenden Hüften ab und singt dabei ihren Choral wie bei einer Beerdigung – während Leonce sich weiterhin die Augen zuhält. Was für eine Stimmung!

Als Valerio schafft Belgin dann eine ganz andere Figur. Dies wird unterstützt durch das maskuline Kostüm und ihre prägnante andere Gangart und Sprechweise. Sie legt ihren roten BH am Bauchladen auf der Bühne ab und nimmt daraus den grünen Hut des Valerio. Ihr Valerio wirkt maskulin, verschmitzt und heiter. Er ist die ganz Zeit bemüht Leonce aus der Reserve zu locken.

Peter als Leonce behält die genannten Gebärden sehr gut ein und gibt auch damit der Figur ein eigenes Profil. Seine heitere/bittersüße Melancholie gewinnt immer mehr an Ausdruckskraft.

Der Prozess der Gestaltung schreitet voran, wir alle vergessen die Zeit. Zwischendurch macht jeder von uns (außer Wolfgang, der ganz das Essen vergisst) eine kleine Pause und bedient sich an den leckeren Speisen.

Am späten Nachmittag entsteht dann noch eine beeindruckende Szene: Doris gestaltet die Braut Lena mit einer unglaublichen Intensität und beeindruckendem Facettenreichtum, so dass Wolfgang hingerissen schwärmt: „du hast in dieser Szene alle großen Frauengestalten des Theaters gezeigt; da waren Penthesilea, das Gretchen, Julia, die Klythemnästra ………..“

Es gibt großen Beifall und Bewunderung von uns allen. Sie hat es wirklich großartig gemacht.

Zum Schluss filmt Marc noch die Szene mit Lena und der Gouvernante. Ich bemühe mich, an  alles zu denken: Gesang, Gangart, Mimik, Text, klares Hochdeutsch, Klingeln ….. Aber die nicht mehr ganz so gute Konzentration, die Erschöpfung,…….. haben, so befürchte ich, ihre Spuren hinterlassen. Aber wir proben ja weiter !

Dann geht es ans Abschminken und schließlich kommen wir zum Essen und Sprechen noch einmal am reich gedeckten Tisch zusammen. Alle sind erfüllt und verständlicherweise auch erschöpft von den 8 Stunden Proben. Es war schließlich unser längster und intensivster Probentag bisher. Ich spüre, dass wir Spieler/innen mit Wolfgang und Gianni getragen sind von dem Wunsch und der Begeisterung, dieses Stück so gut und überzeugend als möglich auf die Bühne zu bringen.